Von Menschen und ihren Abgründen

Serien-Kritik: Top of the Lake - Staffel 1
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© Polyband

«Top of the Lake» beginnt damit, dass sich das kleine Mädchen Tui das Leben nehmen will. Sie steigt in das eiskalte Wasser des Sees in der Nähe von ihrem Zuhause und kommt erst wieder raus, als ihre Lehrerin sie aus dem Wasser fischt. Sie hat Tui vom Schulbus aus gesehen. Die Lehrerin ist auch diejenige, die bemerkt, dass Tui schwanger ist. Zur selben Zeit befindet sich gerade die auf Kindesmissbrauch spezialisierte Polizistin Robin im Dorf, weil ihre dort lebende Mutter todkrank ist. Robin wird auf diesen Fall angesetzt. Als Robin auf dem Polizeirevier das 15-jährige Mädchen fragt, wer ihr das angetan hat, schreibt sie auf einen Zettel «no one». Robin möchte Tui zwei Tage später nochmals treffen, doch da ist sie schon spurlos verschwunden. 

 

In den folgenden drei Folgen geht es darum, Tui zu finden und herausfinden, was mit ihr passiert ist: Was ist mit Tui? Lebt sie noch oder ist sie schon längst tot? Wie viel wissen die Dorfbewohner? Und seit neuem leben eine Gruppe von Frauen am See. Was hat das auf sich? Und welche Rolle spielt die weisshaarige Anführerin der Aussteiger? Während der Suche nach dem Mädchen werden Geschichten der Dorfbewohner aufgedeckt, Männer sterben und Robin beginnt eine Liaison mit ihrem alten Schulfreund. 

 

Die Kulisse Neuseelands 

 

Schon in der ersten Folge fällt die gewaltige Natur Neuseelands auf. Wunderschöne Bergkulissen und weite Landschaften ziehen sich durch die Serie und lassen den Zuschauer staunen. «Top of the lake» hat nicht den Drang schnell durch die Geschichte zu führen: Jane Campion (Regie-Oscar für «Das Piano») und Gerard Lee, die Entwickler dieser Serie, nehmen sich Zeit mit den Geschichten, mit den Bildern, mit der Handlung. Die Serie nimmt sich die Zeit, um glaubwürdige Charaktere zu zeigen und sie zu entfalten. Die Serie arbeitet zudem bewusst mit wenig Musik.

 

Doch gleichzeitig beginnen die Macher auch gerne eine Geschichte und berichten sie nicht zu Ende.  Am Ende der ersten Folge wird beispielsweise der Immobilienverkäufer Bob Platt tot im See gefunden. Dies wird nicht weiter behandelt und versandet in der zweiten Folge. Ebenfalls wird der Pädophile Wolfgang Zanic aufgehängt im Wald gefunden. Es wird weiter nicht mehr thematisiert. Doch die Serie lebt genau von diesen Geschichten. Es unterstreicht die Mentalität im Dorf in Mitten von Neuseeland. Die Bewohner kümmern sich selber um ihre Probleme. Oder sie kümmern sich auch nicht darum. Jeder interessiert sich nur für sich selber. Die Menschen sind hässlich und haben nichts Schönes an sich. Sie sind alle auf ihre Weise verkorkst. In der Serie geht es nicht um Sehen und gesehen werden. Die Macher von «Top of the Lake» haben keine Angst vor Hässlichkeit und zeigen die Figuren mit ihren Ecken und Kanten. 

 

Figuren mit massiven Ecken und Kanten

 

Wenn du diese Serie zu schauen beginnst, erwartet dich kein leichter Stoff. Du musst dich auf die Geschichte einlassen, auf die Figuren und die Bilder. Wenn du das nicht kannst, wird die Serie an dir vorbeigehen und sie wird in Vergessenheit geraten, wenn du sie denn überhaupt bis zum Schluss geschaut hast. Die Serie vermittelt dir kein gutes Gefühl. Bis zum Schluss nicht. Während du schaust, scheint es, als ob Figuren eine Entwicklung durchmachen und sich ändern. Da ist zum Beispiel der Polizist Al Parker, der sich sichtlich für Robin interessiert und man meint, er könnte es gut mit ihr meinen, als er sie zum Abendessen einlädt. Oder der Vater von Tui. Er wird als grosskotziger und unsympathische Figur vorgestellt. Während der Serie entpuppt er sich als gebrochener Mann, der von seiner Mutter offenbar misshandelt und gepeinigt wurde. 

 

Auch Robin erlebt kein wirkliches Happy End. Sie wird während der Serie immer weiter in ihre düstere Vergangenheit gezogen und zerbricht mehr und mehr. Sie verfällt dem Alkohol und hat ihre Gefühle nicht mehr unter Kontrolle. Einzig Robins Freund ist konstant ein Fels in der Brandung für sie. Doch auch bei ihm wird man das Gefühl nicht los, dass bald die nächste Bombe hochgeht. 

 

Wenn du Lust auf seichte Unterhaltung hast, in diese Serie nichts für dich. Doch wenn du bereit bist, in die Tiefe eines Dorfes voller Boshaftigkeit zu tauchen, ist «Top of the Lake» die perfekte Serie für dich. Man darf gespannt sein, in welche Abgründe uns die zweite Staffel führt. 

 

Es ist spannend zu sehen, wie das Verschwinden eines Mädchens die Dorfbewohner an ihre Grenzen –  physisch wie auch psychisch – bringen. Die Figuren haben Tiefgang und sind schauspielerisch top. 

  • Top of the Lake (GB, Australien, USA 2013)
  • Regie und Drehbuch: Jane Campion
  • Besetzung: Elisabeth Moss, David Wenham, Holly Hunter
  • Laufzeit: ca. 360 Minuten (6  Episoden à 60 Minuten)
  • Im Handel: seit 2013

 

Staffel 2 erscheint kurz vor Weihnachten 2017. Unsere Kritik folgt in Kürze. 

Lena Imboden / So, 17. Dez 2017